Ein Fallbeispiel
Frau F.* kontaktierte mich, weil ihr in Schule empfohlen wurde, einen Spezialisten aufzusuchen. Die Klassenlehrerin stellte fest, dass der Junge anders lernt als der Rest der Klasse. Er kann die gelernten Themen nicht behalten und hat insbesondere in Mathe große Verständnisschwierigkeiten.
Als Leo* den Beratungsraum betrat, klammerte er sich fest an seine Mama. Er wollte nicht noch mehr Mathematik haben. Es war sein absolutes Nicht-Lieblingsfach in der Schule. Er hatte dort sehr große Schwierigkeiten und zweifelte daran, dass es überhaupt irgendwann funktionieren könnte. Leo* besuchte zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr die erste Klasse einer Grundschule. Als seine Eltern in den Warteraum geschickt wurden, zog er seine Mütze tief über sein Gesicht. Er war im Widerstand. Nach und nach gelang es mir ihn dazu zu motivieren, mit mir ins Gespräch zu kommen. Ich stellte fest, dass es dem Jungen sehr schwerfiel, Links und Rechts zu unterscheiden. Dadurch wusste er auch nicht, in welche Richtung Zahlen und Buchstaben geschrieben werden. Oft schrieb er sie auch spiegelverkehrt. Nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen der Zahlen funktionierte nicht immer. So verwechselte er „2“ und „5“ und „4“ und „7“. Nach der Schule konnte der Junge nicht immer im Hort bleiben, weil er sehr stark ermüdet war. Was auch verständlich ist, denn Kinder, die solche Probleme haben, müssen sich viel mehr anstrengen, um mit der Klasse Schritt zu halten. Umso trauriger ist es für sie zu merken, dass sie es trotz ihrer Bemühungen nicht schaffen.
Es benötigte einige Monate, bis Leo* anfing, Zahlsymbole und Mengen richtig miteinander zu verknüpfen und einfache mathematische Aufgaben zu lösen. Er kann sich besser im Raum orientieren und ist kreativ in seiner Arbeit. Er kommt auch gerne zum Training. Es wird noch einige Zeit dauern, bis er am Schulstoff genauso wie seine Klassenkameraden arbeiten kann. Aber wir sind auf einem guten Weg, der uns zum Ziel führt und das hat er erkannt.
Wahrnehmungsstörungen im Vorschulalter
Meistens zeigen sich die Wahrnehmungsschwierigkeiten bereits im Vorschulalter. So war es auch bei Leo*. Diese Störungen haben viele Facetteen. Manche Kinder scheinen sehr verträumt zu sein. Sie vergessen viel und entwickeln kein Zeitgefühl. Manche Kinder haben Schwirigkeiten, sich im Raum zu orientieren. Die Anderen müssen oft nachfragen, wenn man mit ihnen spricht, obwohl der HNO-Arzt keine körperlichen Ursachen für das Phänomen feststellen kann. Auch Koordinationsschwierigkeiten und Sprachentwicklung können betroffen sein. Leo* war immer sehr gerne im Wald und beschäftigte sich mit Tieren. Er weiß sehr viel über unterschiedliche Tierarten und Hunderassen. Er bewegt sich auch gerne. Aber er konnte Links und Rechts nicht unterscheiden. Auch Zeichnen war nicht seine Stärke. Genau genommen, bereitete ihm diese Tätigkeit große Schwierigkeiten.
Die Eltern solcher Kinder merken oft selbst, dass etwas nicht in Ordnung ist, und sprechen es in der Kita oder beim Kinderarzt an. In meisten Fällen bekommen sie aber die Empfehlung abzuwarten. Das Problem würde sich von allein regeln. Ich wünsche allen betroffenen Kindern, dass ihre Eltern die Problematik ernst nehmen und so früh wie möglich einen Fachmann aufsuchen, um eben das große Leiden ihrer Kinder, wenn sie in die Schule kommen und mit ihren „Anderssein“ konfrontiert werden, zu vermeiden.
*Personenbezogenen Angaben wurden zum Schutz der betroffenen Personen verändert